Literaturwissenschaft als
Sozialwissenschaft
Die sozialen Bewegungen seit den 1960er Jahren, und besonders die 68er Bewegung, haben immer auch das Verhältnis von Kunst, speziell Literatur und Gesellschaft, von Literatur und Politik, mit reflektiert – oft allerdings ohne theoretischen Hintergrund. Ein radikaler theoretischer Denkansatz ist hingegen das Konzept der Gesellschaft als imaginärer Institution von Cornelius Castoriadis. Das gesellschaftlich Imaginäre gilt ihm als Versuch, dem Chaos der menschlichen Existenz eine Form zu geben, „eine Welt für die Gesellschaft zu schaffen“ (Castoriadis). Innerhalb des gesellschaftlich Imaginären hat die Kunst, und speziell die Literatur, einen besonderen Platz. Die Fähigkeit der Literatur besteht darin, „ein Universum prosaischer Wirklichkeit wie ein immenses Gewebe von Zeichen erscheinen zu lassen, das die Geschichte einer Zeit, einer Zivilisation oder eine Gesellschaft geschrieben enthält.“ (Rancière) Dies, so Rancière, sei eine oft profundere Analyse der politischen Verhältnisse, als sie die Politik selbst zu leisten vermag. Literatur bildet nicht die Wirklichkeit ab, sondern gestaltet deren Komplexität modellhaft in der Komplexität der unauslotbaren Deutungsmöglichkeiten des Textes. Literatur, wie jede Kunst, kritisiert „die Gesellschaft, durch ihr bloßes Dasein […]. Das Asoziale der Kunst ist bestimmte Negation der bestimmten Gesellschaft. Freilich bietet durch ihre Absage an die Gesellschaft […] autonome Kunst ebenso als Vehikel der Ideologie sich an: in der Distanz läßt sie die Gesellschaft, vor der ihr schaudert, auch unbehelligt“. (Adorno) Dieses komplexe Verhältnis zwischen Kunst, als einem besonderen Ort des Imaginären, und anderen gesellschaftlichen Bereichen, ist ein wesentlicher, wenngleich manchmal nicht genügend anerkannter Bestandteil jeder Gesellschaftstheorie. Damit ist auch die Bedeutung von Kunst für die Friedensforschung umrissen.
Meine Aktivitäten zentrieren sich um folgende Schwerpunkte:
- Eine kulturwissenschaftlich verstandene Literaturdidaktik, die gegenüber allen pädagogischen Domestizierungsbemühungen der Literatur auf dem ästhetischen Eigensinn der Kunst beharrt
- Eine politische Bildung, deren Fokus durch die Einbeziehung von literarischen Werken, Strömungen und Initiativen erweitert wird, ohne deswegen die Literatur zu funktionalisieren
- Die Arbeit an der Etablierung einer kulturwissenschaftlichen Friedensforschung, und innerhalb dieses Ansatzes „Literatur und Frieden“ als eigener Forschungsbereich.
- Konkret:
- Die Untersuchung literarischer und ästhetischer Darstellungsweisen von Gewalt, Krieg und Frieden
- Die Beteiligung an der Theoriebildung in diesem Feld und die Verbindung von literaturwissenschaftlichen mit sozialwissenschaftlichen Zugängen
- Die friedenspädagogische Aufbereitung des Themenfelds
Vgl. dazu das Forschungsprogramm des ZFF (Stand 2010er Jahre): https://www.aau.at/wp-content/uploads/2018/06/forschungsprogramm-frieden-und-literatur.pdf sowie meinen programmatischen Text anlässlich der Gründung des Friedenszentrums (2005/2006): https://www.aau.at/wp-content/uploads/2018/06/wintersteiner-kultur-des-friedens-als-leitbegriff.pdf
Beispiele dafür sind Studien zu Literatur, Globalisierung, Mehrsprachigkeit, Weltliteratur, Transkulturalität; zu Literatur, Krieg und Frieden; Ästhetik und Politik bei Bertha von Suttner; zum Schriftsteller und Philosophen Hermann Broch oder zu Erinnerungspolitik und Literatur.
Wichtige Links:
Publikationen
BÜCHER
Poetik der Verschiedenheit. Literatur, Bildung, Globalisierung. Klagenfurt/Celovec: Drava 2022 (erweiterte Neuausgabe). 350 S. ISBN: 978-3-85435-969-2
AUFSÄTZE
Kreolisierung, Opazität und All-Welt. Edouard Glissants Beitrag zur Literaturwissenschaft und –didaktik. In: Ines Böker/Swen Schule Eickholt (Hg.) (2023): Interkulturelle Konstellationen in Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik. Würzburg: Königshausen & Neumann. ISBN 978-3-8260-7919-1, 469-480.
Hermann Brochs „Völkerbund-Resolution“ und die Novelle „Die Heimkehr des Vergil“ als Dokumente des österreichischen Widerstands. In: Paul Michael Lützeler/Thomas Borgard (Hg.): Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie. Paderborn: Brill/Fink 2023, 113-129. ISBN 978-3-7705-6738-6.
Von der Unmöglichkeit des Verstehens und der Notwendigkeit der Verständigung: Philosophie, Politik, Literatur. In: Zagreber Germanistische Beiträge Jg. 31, 2022, 29-48. ISSN 1330–0946.
Hermann Brochs „Völkerbund-Resolution“ und die Novelle „Die Heimkehr des Vergil“ als Dokumente des österreichischen Widerstands. In: Paul Michael Lützeler/Thomas Borgard (Hg.) (2023): Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie. Paderborn: Brill/Fink, 113-129. ISBN 978-3-7705-6738-6.
Kultur und Barbarei Europas. Europas-Essays im Deutschunterricht. In: Der Deutschunterricht LXXIII (2) 2021, 14-23. ISSN 0340-2258
Ethik und Politik in Brochs Völkerbundresolution. Eine postkoloniale Lektüre. In: Paul Michael Lützeler/Markus Ender (Hg.): Hermann Broch und Der Brenner. Innsbruck: StudienVerlag 2020 (Edition Brenner-Forum, Band 17), 161-175. ISBN 978-3-7065-6066-5
BÜCHER
Hajnalka Nagy/Werner Wintersteiner (Hg.): Erinnern – Erzählen – Europa. Das Gedächtnis der Literatur. Innsbruck: StudienVerlag 2015. ISBN 978-3-7065-5296-7.
Hajnalka Nagy/Werner Wintersteiner (Hg.): Immer wieder Familie: Familien- und Generationenromane in der neueren Literatur. Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde, Band 26. Innsbruck: StudienVerlag 2012. ISBN 978-3-7065-5143-4.
Karl Müller, Werner Wintersteiner (Hg.): „Die Erde will keinen Rauchpilz tragen“. Krieg und Frieden in der Literatur. Innsbruck: StudienVerlag 2011 (Schriftenreihe Literatur Institut für Österreichkunde | Österreichisches Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik, Band 25). ISBN 978-3-7065-5099-4.
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AUFSÄTZE
Ein Museum über die Vorgeschichte der menschlichen Zivilisation. In: Elena Messner/Peter Pirker (Hg.) 2021: Kriege gehören ins Museum. Aber wie?. Wien: Edition Atelier, 300-308. ISBN 978-3-99065-061-5.
Die Natur (in) der Erinnerung. „Kontaminierte Landschaften“ als Erzählstrategie. In: Alexander Höllwerth mit Ursula Knoll und Helena Ulbrechtová (Hg.): „Kontaminierte Landschaften“. Mitteleuropa inmitten von Krieg und Totalitarismus. Eine exemplarische Bestandsaufnahme anhand von literarischen Texten. Berlin: Peter Lang 2019, 99-94. ISBN 978-3-631-74563-2.
Poetik des Globalen in der deutschsprachigen Lyrik. In: Vesna Kondrič/Dejan Kos/Andrea Leskovec/Špela Virant (Hg.): Literarische Freiräume. Festschrift für Neva Šlibar. Ljubljana. Filozofska fakulteta 2019, 181-194. ISBN 978-961-06-0160-9.
“Nichts als der Tod und die Satire”. Grimmelshausens Kriegskritik aus heutiger Perspektive. daphnis 47 (2019), 344-378. ISSN 0300-693X.
Angel of Oblivion. Literature and memory politics in Austria. In: Innovation: The European Journal of Social Science Research 32:3 (2019), 385-401. ISSN: 1351-1610 (Print) 1469-8412 (Online). Download: https://libkey.io/libraries/2924/articles/273719331/full-text-file
Frieden und Literatur. In: Hans J. Gießmann/Bernhard Rinke (Hg.): Handbuch Frieden. Wiesbaden: Springer VS 2019², 483-497. ISBN 978-3-658-23643-4.
Den Frieden in die Wirklichkeit denken! In: Susanne Jalka (Hg.): Denken Kunst Frieden. Annäherungen an das Menschsein. Berlin/Boston: de Gruyter Edition Angewandte 2018, 165-187. ISBN 978-3-11-058989-4.
Literatur und Frieden – eine Annäherung in Beispielen. In: Literarisches Österreich. Zeitschrift des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes. Sonderheft Frieden 2018, 104-115. ZVR 295943463. Download: https://www.oesv.or.at/files/oesv/Dokumente/Literarisches%20Oesterreich_2018_friede_web.pdf
From a Violent Past towards a Global Ethics? Twentieth Century Atrocities in Select Novels of the Twenty-First Century. In: Primerjalna književnost (Ljubljana) 40.2 (2017), 33 – 51. ISSN 0351-1189.
Das Thema Flucht in der Literatur. Vorschläge für den Unterricht. In: Wintersteiner, Werner/Sabine Zelger (Hg.) (2017): Menschen gehen. Flucht und Ankommen. informationen zur deutschdidaktik, Jg. 41, Heft 1, 161-175. ISSN 0721-9954.
Mitten im Getümmel. Poetischer und politischer Pazifismus im Werk der Bertha von Suttner. In: Johann Georg Lughofer und Stéphane Pesnel (Hg.): Literarischer Pazifismus und pazifistische Literatur. Bertha von Suttner zum 100. Todesjahr. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2016, 27-43. ISBN-13: 9783826056499.
„Wir sind die Angst der Welt, die keiner in seinem Haus haben will“. Hiroshima in der literarischen Erinnerung. In: Hajnalka Nagy/Werner Wintersteiner (Hg.): Erinnern – Erzählen – Europa. Das Gedächtnis der Literatur. Innsbruck: StudienVerlag 2015, 82-118. ISBN 978-3-7065-5296-7.
Politik der Literatur, politische Literaturdidaktik DOI:10.1080/13511610.2019.157819. In: Stefan Krammer, Sabine Zelger (Hg.): Literatur und Politik im Unterricht. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 2015, 43-65. ISBN 978-3-7344-0174-9.
„Verstehen und Selbstvergewisserung“. – Literaturdidaktik und Gesellschaftskritik. In: Daniela A. Frickel u. Jan M. Boelmann (Hg.): Literatur – Lesen – Lernen. Festschrift für Gerhard Rupp. Frankfurt: Peter Lang 2013, 412-430. ISBN 978-3-631-63017-4.
„Wer trüge nicht Splitter davon im Holz seines Herzens?“ Ernst Jandl als Pazifist und Friedenspädagoge. In: Hannes Schweiger/Hajnalka Nagy (Hg.): Wir Jandln! Didaktische und wissenschaftliche Wege zu Ernst Jandl. Innsbruck: StudienVerlag 2013 (= ide extra, Band 18), 152-180. ISBN 978-3-7065-5126-7.
Frieden und Literatur. In: Hans J. Gießmann/Bernhard Rinke (Hg.): Handbuch Frieden. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, 384-393. ISBN 978-3-531-16011-5.
„Die Tragödie des Einzelnen aus der Statistik der Millionen befreien“. Über Literatur und Frieden. In: Karl Müller/Werner Wintersteiner (Hg.): „Die Erde will keinen Rauchpilz tragen“. Krieg und Frieden in der Literatur. Innsbruck: StudienVerlag 2011 (Schriftenreihe Literatur Institut für Österreichkunde | Österreichisches Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik, Band 25), 34-49. ISBN 978-3-7065-5099-4.
BÜCHER
Nicola Mitterer/Werner Wintersteiner (Hg.): „Wir sind die Seinen, lachenden Munds“. Der Tod – ein unsterblicher literarischer Topos. Innsbruck: StudienVerlag 2010. (=Schriftenreihe Literatur – Institut für Österreichkunde und Österreichisches Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik) ISBN 978-3-7065-4879-3.
Nicola Mitterer/Werner Wintersteiner (Hg.): Weltliteratur. Themenheft von: informationen zur deutschdidaktik (ide), 34. Jahrgang, Heft 1/2010. ISSN 0721-9954.
Nicola Mitterer/Werner Wintersteiner (Hg.): Und (k)ein Wort Deutsch … Literaturen der Minderheiten und MigrantInnen in Österreich. Innsbruck-Wien-Bozen: StudienVerlag 2009 (=Schriftenreihe Literatur, Bd. 23). ISBN 978-3-7065-4769-7.
„Hätten wir das Wort, wir bräuchten die Waffen nicht.“ Erziehung für eine „Kultur des Friedens”. Innsbruck-Wien-München: StudienVerlag 2001 (= ide-extra, Band 10). ISBN 9783706515825.
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AUFSÄTZE
„Die Waffen nieder“ – ein immer noch zeitgemäßes Projekt. In: Johann Georg Lughofer (Hg.): Im Prisma. Bertha von Suttner „Die Waffen nieder!“, Wien: Edition Art Science 2010, 193-210. ISBN 978-3-902157-73-7.
Mehrsprachigkeit und Macht. Politische und ästhetische Implikationen einer transkulturellen Literaturdidaktik. In: Patricia Nauwerck (Hg.): Kultur der Mehrsprachigkeit in Schule und Kindergarten. Festschrift für Ingelore Oomen-Welke. Freiburg: Fillibach 2009, 219–230. ISBN 978-3-931240-50-9.
„Wenn man die Welt verändern will, muss man Bescheid wissen.“ Jugendliteratur und Zeitgeschichte. In: schulheft 110/2003. leben – lesen – erzählen. Kinder- und Jugendliteratur zur Zeitgeschichte, 25-41. ISBN 978-3-7065-6026-9.
Erziehung für eine Welt, wie sie sein soll ? Jugendliteratur und Politik. In: Tausendundein Buch 2, Mai 2003, 4-9. ISSN: 1608-6589.
BÜCHER
Friedbert Aspetsberger/Werner Wintersteiner. Spielräume der Gegenwartsliteratur. Dichterstube – Messehalle – Klassenzimmer. Innsbruck-Wien: StudienVerlag. 1999. (= Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde, Bd. 9). ISBN 978-3-7065-1364-7.
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AUFSÄTZE
Identität und Friedenserziehung – Ein Projekt im Literaturunterricht. In: Gerhard Rupp (Hg.): Jahrbuch der Deutschdidaktik 1993. Tübingen: Gunter Narr, 1994, 120-140. ISBN 9783823344544.
Der fremde Blick als didaktische Chance. Oder: Die Heimat aus der Sicht von schwarzen Spinnen, blutenden Kälbern und alten Wörterbüchern. In: Friedbert Aspetsberger (Hg.): Neue Bärte für die Dichter? Studien zur österreichischen Gegenwartsliteratur. Wien: ÖBV, 1993 (= Schriften des Institutes für Österreichkunde: 56/57), 275-282. ISBN 3215111470.