Kärnten, Alpen-Adria, Südosteuropa

Die ethnischen Konflikte im zweisprachigen Kärnten – im Wesentlichen die lang andauernde mangelnde Akzeptanz der Rechte der slowenischen Volksgruppe – können nur im transnationalen Kontext verstanden und überwunden werden. Schon allein deswegen besteht die Notwendigkeit, sich der Alpen-Adria-Region zuzuwenden, welche oft euphorisch als Schnittpunkt dreier Kulturen und Sprachgruppen bezeichnet wird. Allerdings ist sie bis heute davon geprägt, dass sie einer der Hauptschauplätze des „Großen Krieges“ mit den anschließenden einschneidenden Grenzveränderungen war, wie auch der Schauplatz des Zweiten Weltkriegs, neuerlicher Grenzveränderungen und Vertreibungen. Die Völker dieser Region sind durch eine leidvolle Geschichte wie auch durch ethnische Durchmischungen mit einander verbunden. Nur wenn wir gemeinsam diese Vergangenheit aufarbeiten, können  wir Grundlagen für einen dauerhaften Frieden schaffen. Dabei spielt der Begriff „Alpen-Adria“ eine produktive Rolle – als Vorsatz, einen neuen Anfang zu wagen. „Alpen-Adria“ ist somit die Verkörperung einer politischen Idee, der Brennpunkt von Wünschen und Sehnsüchten nach alternativen Formen des Zusammenlebens. 

Die mehrsprachige, gemischt besiedelte, sich nach wie vor ständig verändernde Alpen-Adria-Region ist eine Europäische Union im Kleinen. Eine grenzüberschreitende regionale Kooperation ist nicht als eigenbrötlerische Entwicklung gemeint, sondern als ein Baustein für ein föderatives demokratisches Europa im gemeinsamen „Heimatland Erde“. 

Wir müssen den Schatz der Verschiedenheit und der Wertschätzung der Verschiedenheit, den die Alpen-Adria-Idee darstellt, bewahren und nutzen. Wie kaum irgendwo in Europa haben wir hier Erfahrungen mit Grenzen und ihren Veränderungen, mit der Idee der Grenze selbst und mit der Notwendigkeit von Grenzüberschreitungen. Wir haben vielfältige Erfahrungen mit transnationaler Zusammenarbeit, die mit der Gründung der ARGE Alpen-Adria 1978 auch organisierte Formen annahm. Als Bewohnerinnen und Bewohner der Region haben wir „Grenzkompetenz“ entwickelt: „Senza Confini/Brez meja“ ist ein Slogan gegen rassistische Abgrenzung und für den Mut zum Miteinander. 

Aus dem (vernachlässigten) Grenzgebiet ein neues Kernland zu machen, die Spielregeln zwischen Peripherie und Zentrum neu auszuhandeln, das ist ein wichtiges Anliegen eines transnationalen Regionalismus. Das bedeutet ein neues Verständnis der Beziehung von Lokalem, Nationalstaatlichem und Internationalem, wie es in Zeiten der Globalisierung an vielen Punkten der Welt gleichzeitig entsteht. Die langfristige Aufgabe besteht aber darin, eine Alpen-Adria-Friedensregion zu schaffen. Die Friedensforschung kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Aktivitäten

Der Konflikt um die Rechte der Kärntner Slowen*innen sowie die Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung bzw. Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus in Österreich und speziell in Kärnten spielte immer eine wichtige Rolle in meiner Arbeit und führte auch zu meiner Beteiligung an der Errichtung des „Denkmals der Namen“ in Villach und an der Gründung des Vereins Erinnern Villach (https://erinnernvillach.com). Diese Thematik spielt auch in der Kooperation mit Kolleg*innen der Nachbarländer eine große Rolle. 

Meine Beschäftigung mit dem Alpen-Adria Raum entsprang ursprünglich dem Bedürfnis, einen regionalen Ansatz für die friedenspolitische Arbeit zu entwickeln, die in den frühen 1980er Jahren auch in Österreich ganz von der bundesdeutschen Debatte um den NATO Doppelbeschluss dominiert war. Damit wurde aber, so meine Ansicht, die Situation des neutralen Österreichs zu wenig berücksichtigt, das doch an all seinen Grenzen mit der Stationen von Waffensystemen und oft sogar Atomwaffen konfrontiert war (und weitgehend  noch ist). Das galt besonders für die Region Friaul Julisch-Venetien, das „Pulverfass“ Italiens. In diesem Sinne knüpften wir enge Kontakte zu Friedensbewegten in Friaul und Slowenien, aber auch Ungarn, Kroatien und Deutschland.

Villacher Vorschlag – Neutralitätspolitik von unten 

(Ein Programm für die Friedensbewegung, 1983)

Als Reaktion auf die Erkenntnis der massiven Aufrüstung rund um Österreich erarbeitete ich für das Villacher Friedenskomitee 1983 der Appell gegen „Atomwaffen vor unserer Haustür“, der bald als Villacher Vorschlag bekannt wurde: die Forderung nach einer atomwaffenfreien und militärisch verdünnten Zone rund um das neutrale und schwach gerüstete Österreich, speziell auch die Errichtung einer atomwaffenfreien Alpen-Adria-Region als erstem Schritt für ein atomwaffenfreies Europa. Damit wurde das Programm der „aktiven Neutralität“, ein Bestandteil der Politik von Bruno Kreisky, von zivilgesellschaftlicher Seite mit Leben erfüllt. Der Villacher Vorschlag wurde in kürzester Zeit von rund 50 Gruppen, Organisationen und zahlreichen, teils sehr prominenten Persönlichkeiten aus Österreich sowie einer große Zahl von Organisationen und Friedensbewegten aus den Nachbarländern unterzeichnet. Dennoch wurde der Plan, gedacht als Angebot an die österreichische Friedensbewegung, mehrheitlich abgelehnt. Der Hauptgrund: Der Vorschlag kritisierte nicht nur die NATO, sondern auch den Warschauer Pakt. Aber die Unabhängige Friedensinitiative (UFI) unterstützte und propagierte den Villacher Vorschlag. Er wurde jedenfalls ab 1984 zum Fokuspunkt für die transnationale Kooperation im Alpen-Adria Raum.

Friedensbewegung Österreich, Italien, Jugoslawien

(Zivilgesellschaftliche Kooperation seit den 1980er Jahren)

Diese Kooperation der Friedensgruppen fand ihren Ausdruck in mehrtägigen Seminaren, in denen Grundsatzfragen erörtert wurden, sowie in gegenseitigen Einladungen zu Friedensveranstaltungen. Es kam auch der Plan auf, eine gemeinsame Zeitschrift zu gründen, der sich allerdings als nicht realisierbar erwies. So beschloss das Villacher Friedenskomitee 1986, alleine und nur in deutscher Sprache, die Vierteljahrszeitschrift alpe-adria herauszugeben. Sie bestand 15 Jahre, bis zum Jahr 2000. In dieser Zeitschrift sind politischen und zivilgesellschaftlichen Entwicklungen dieser Zeit dokumentiert. Der Bürgerkrieg, der mit dem Zerfall Jugoslawiens einherging, war zweifelsohne das einschneidendste Ereignis und warf die Friedensbewegung zurück, bedeutete aber keinen Abbruch der Kooperation. Einige Nummern der Zeitschrift werden hier im Original reproduziert:

Alpen-Adria-Alternativ

(Ein organisatorisches Standbein der Friedensarbeit, 1990er Jahre)

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sowie der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens sah ich die Bedingungen für einen neuen Schritt der transnationalen Kooperation gegeben. Dieser Schritt war die Gründung von „Alpen-Adria-Alternativ. Verein für Frieden, Menschenrechte und interkulturelle Zusammenarbeit“ (Graz und Villach, 1990–2000), gemeinsam mit Doris Pollet-Kammerlander. Er war ein österreichischer Verein, aber mit engen Verbindungen zu Organisationen und Personen in allen Alpen-Adria Ländern. Beim Grazer Gründungskongress waren wichtige politische Persönlichkeiten von Südtirol über Slowenien bis Ungarn vertreten. Der Verein organisierte Seminare, Studien, Projekte zur grenzübergreifenden interkulturellen Zusammenarbeit, zum interkulturellen Lernen und zur Friedenserziehung, darunter die „Europäische Jugendakademie“ (1993–2001), und er entfaltete auch eine rege Publikationstätigkeit. (Siehe auch das Arbeitsfeld Friedenspädagogik)

Friedensregion Alpen-Adria – die Arbeit des ZFF

(Verschränkung von Friedensarbeit und Friedensforschung, seit 2005)

Neue Möglichkeiten erschlossen sich durch die Gründung des ZFF, das von Anfang an den Alpen-Adria Raum als ein zentrales Arbeitsfeld definierte und mit den Partneruniversitäten Kontakt aufnahm. Die wichtigsten Meilensteine:

  • 2008: Tagung Mehrsprachigkeit, Transkulturalität und Bildung. Regionalentwicklung des Alpen-Adria-Raums in globaler Perspektive. Programmfolder: https://docplayer.org/16390970-Alpen-adria-universitaet-klagenfurt.html
  • 2009: Organisation der Sommer-Friedens-Universität in Tarcento (zusammen mit den Universitäten Udine, Koper und Klagenfurt). Siehe dazu: Bettina Gruber/ Daniela Rippitsch: Über die Grenzen lernen. Die Alpen-Adria Sommer-Friedensuniversität. Von einer Kriegskultur zu einer Friedenskultur im Alpen-Adria Raum. Die Friedens-Warte. Journal of International Peace and Organization, Band 85, Heft 3/2010, S. 101-119. https://www.jstor.org/stable/26524860#metadata_info_tab_contents
  • 2011: Veröffentlichung der auf dem Seminar in Tarcento basierenden Buchpublikation Modell Friedensregion Alpen-Adria? Lernerfahrungen in einer europäischen Grenzregion (herausgegeben von Bettina Gruber/Daniela Rippitsch).
  • 2011: Internationale Konferenz zum 20. Jahrestag des Kriegsbeginns in Ex-Jugoslawien 20 Jahre später. Krieg(e) in Jugoslawien. 20 years later. War(s) in Yugoslavia. https://docplayer.org/22408473-Krieg-e-in-jugoslawien.html
  • 2012: Buchpublikation „Kärnten liegt am Meer. Konfliktgeschichten um Macht, Trauma, Identität“ (hrsg. von Wilfried Graf/Gudrun Kramer/Wolfgang Petritsch), in der die Tiefendimensionen des Konflikts um die Rechte der slowenischen Volksgruppe beleuchtet werden.
  • 2012: Internationale Konferenz „FriedensBildung in der Alpen-Adria-Region“. https://docplayer.org/7877523-Friedensbildung-izobrazevanje-za-mir-formazione-sulla-pace-peace-education.html

Dealing with the Past: das PRAA-Projekt

(Zivilgesellschaft Österreich-Slowenien, 2014-2020)

Eine weitere Aktionsmöglichkeit ergab sich als Zusammenschau der innen- und außenpolitischen Dimensionen des so genannten „Minderheitenkonflikts“ in Österreich und den Kontroversen um die slowenische Geschichte seit dem Ende der Habsburger Monarchie. So entstand das österreichisch-slowenische Projekt „Building the Peace Region Alps-Adriatic. Envisioning Future by Dealing with the Past. Promoting open and inclusive public discourse within Austria and Slovenia and between the countries”. Der Titel ist Programm. Es war das Bemühen um eine gemeinsame zivilgesellschaftlichen Geschichtsaufarbeitung der wechselseitigen Beziehungen und Nachbarschaft Österreichs und Sloweniens – organisiert von einem Konsortium verschiedener Institutionen beider Länder. In Workshops kamen Menschen zusammen, die sich in Bezug auf Ideologie, Alter und Geschlecht wie auch Berufs- und Tätigkeitsfeld stark unterschieden. Dennoch konnten sich die Teilnehmer*innen schließlich auf zwei Erklärungen (file:///C:/Users/Anwender/Downloads/Building-PRAA-NEM4.pdf) verständigen. Das Buch Slovenija | Österreich: Befreiendes Erinnern. Dialogische Aufarbeitung der Vergangenheit (https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783854359487/Brousek-Jan/Slovenija—%C3%96sterreich) ist eine Präsentation und zugleich ein Bestandteil dieses Projekts.

Alpen-Adria-Friedensmanifest

(Ein „Programm“ der Bewegung, seit 2018) 

Ein neuer Aufschwung der Alpen-Adria Bewegung ist seit dem Jahr 2018 mit der Veranstaltung „War is over. If you want it“ zu verzeichnen. Diese gemeinsame italienisch-slowenisch-österreichische Veranstaltung zum Gedenken an „100 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs“ versammelte rund 300 Menschen in Klagenfurt und hat eine neue Dynamik an Kontakten und Kooperationen entwickelt, die bis heute andauert. Dies liegt auch daran, dass mit dem Alpen-Adria-Manifest eine Art Programm und Fahrplan für künftige Aktivitäten ausgearbeitet wurde. 

Auf das Manifest folgte das gleichnamige Buch, das die intellektuellen Anstrengungen um die Schaffung einer Friedensregion in allen drei Ländern spiegelt und dazu gedacht ist, diese Idee weiter zu verbreiten. 30 Persönlichkeiten haben ihre Gedanken zum Manifest und zur Zukunft der Region beigetragen. (https://www.aau.at/wp-content/uploads/2020/10/Manifesto_folder.pdf)

Dialogisches Erinnern in der Bildungspraxis 

(Gemeinsame Unterrichtsmaterialien für ein transnationales Geschichtsverständnis im Alpen-Adria-Raum, 2022-2023)

Nach wie vor existieren im Alpen-Adria Raum unhinterfragte nationalistische Narrative. Deren Ausbreitung soll mit der Ausarbeitung gemeinsamer, multiperspektivischer Materialen für den Schulunterricht entgegengewirkt werden, um ein transnationales Geschichtsverständnis zu erarbeiten. In einer post-nationalistischen gemeinsamen Regionalgeschichte des Alpen-Adria Raumes wird zu einer kritischen Analyse historischer Quellen angeregt und damit das eigene Geschichtsverständnis herausgefordert. So kann sich Empathie für den Standpunkt der „Anderen“ entwickeln, Vertrauen und Einsicht können wachsen – ein ergebnisoffener Prozess. Involviert sind Historiker*innen, Lehrkräfte und andere Expert*innen aus Italien, Slowenien und Österreich. Siehe: https://dialogischeserinnern.at/

Info: Alpen-Adria-Raum: Geschichte neu lehren: https://kaernten.orf.at/stories/3175022/


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